Mit der Frage, welche Rolle deutsche Politik bei der friedlichen Lösung des Nahostkonflikts spielen kann, ist unweigerlich auch die Frage verknüpft, welche Aufgabe Europa zukommt.
Seit Jahrzehnten steht europäische Politik vor dem Dilemma, dass sie aufgrund historischer Verantwortung für und Verstrickung in der Region versucht, sich in die Konfliktlösung einzubringen, gleichzeitig aber aus verschiedenen Gründen in der Rolle der Juniorpartnerin der USA verharrt.
Grundsatz grüner Außenpolitik ist es, den weiteren Ausbau der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU voranzutreiben und die EU als Friedensmacht wirkungsmächtig werden zu lassen. Es ist nur folgerichtig dies auch für die europäische Rolle im Nahen Osten zu fordern.
Schon in der Vergangenheit hat europäische Politik oft den Spielraum geschaffen, der es erlaubte, Fortschritte bei der friedlichen Konfliktregelung zu machen. Als die Vorgängerorganisation der EU, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, im Juni 1980 die Erklärung von Venedig veröffentlichte, stellte dies die Weichen für die Friedensverhandlungen von Oslo. Zum ersten Mal erklärten EWG-Mitgliedsstaaten, dass die PalästinenserInnen ein Recht auf einen eigenen Staat hätten und dass die PLO in Verhandlungen einbezogen werden müsse. Für die USA, die sowohl unter innenpolitischem Druck des Kongresses als auch unter außenpolitischem Druck Saudi-Arabiens und Israels standen, war solch ein Schritt nicht denkbar. In den USA und Israel galt die PLO noch bis in die frühen neunziger Jahre als Terrororganisation, mit der jegliche Verhandlungen auszuschließen seien. Das Beispiel der PLO, die heute auch den USA und Israel als bevorzugte Verhandlungspartnerin gilt, zeigt, welche Vorreiterrolle Europa in dem Konflikt zukommen kann.
Bisher steht die EU allerdings meist an den Seitenlinien, wenn es um die Lösung des Nahostkonflikts geht. Dabei ist Europa Israels wichtigster Handelspartner, und es existieren zahlreiche kulturelle, wissenschaftliche und politische Kooperationen, die in dieser Form fast keinem anderen außereuropäischen Staat zuteil werden. Auf der anderen Seite fließen jährlich durchschnittlich 470 Millionen Euro aus EU-Steuermitteln zur Förderung des palästinensischen Staatsaufbaus an die palästinensische Autonomiebehörde. Damit ist Europa der größte Geber von Entwicklungsmitteln. Gleich zwei GSVP-Missionen (die Grenzsicherungsmission EUBAM Rafah und die Polizeiausbildungsmission EUPOL COPPS) sind in Palästina aktiv. Je länger aber ein weitergehender Erfolg bei den israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen ausbleibt, umso mehr stellt die EU selbst ihre Unterstützungsleistungen in Frage. So mehren sich die Stimmen innerhalb des EU-Apparats, die erklären, dass überprüft werden müsse, ob eine weitere Unterstützung des Staatsaufbaus zu rechtfertigen sei, wenn ein solcher Staat gar nicht absehbar ist. Angesichts der europäischen Finanzkrise sind europäische Regierungen unter Druck, ihren WählerInnen zu erklären, warum eine Unterstützung aufrechterhalten werden sollte, die weniger der Staatswerdung zu dienen scheint, als eher der Fortführung einer für die israelische Regierung billigen Besatzung.
Wie bei so vielen Themen europäischer Außenpolitik ist es gerade im Nahostkonflikt schwierig für die 28 Mitgliedsstaaten, eine einheitlich Haltung zu finden. Lange Zeit galt Deutschland als der Bremser einer proaktiven europäischen Politik; erst in den letzten Jahren unter der Regierung Merkel (und bedauerlicherweise nicht unter Rot-Grün) hat sich dies zumindest etwas verändert. Jetzt sind es öfter Holland, Rumänien und Tschechien, die noch an einer überholten Politik festhalten, die die EU in diesem Konflikt nicht als proaktiven Akteur sieht.
Die EU ist zusammen mit den USA, den Vereinten Nationen und Russland im Nahostquartett vertreten. Die offizielle Aufgabe des 2002 auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada gegründeten Quartetts ist es, die Kräfte dieser vier entscheidenden externen Player für einen Friedensprozess zu bündeln. Nominell sind die vier Mitglieder gleichberechtigt, de facto aber ist das Quartett vom Erbe der Bush-Ära belastet. Es entstand unter der Ägide der damaligen Nationalen Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice und war eher ein Instrument, die anderen Parteien auf die US-amerikanische Linie einzuschwören. Seit dem Osloprozess sind es allein die USA, die die Friedensverhandlungen leiten. Die EuropäerInnen werden mal mehr, mal weniger über den aktuellen Kurs unterrichtet. In US-amerikanischen Augen fällt ihnen v.a. die Rolle zu, US-amerikanische Initiativen mit Entwicklungsgeldern zu stützen. Dabei könnte das Quartett durchaus ein sinnvolles Instrument für die multilaterale Konfliktbearbeitung sein. Gerade dass so verschiedene Kräfte, die unterschiedliche Positionen zu den Konfliktparteien einnehmen, vertreten sind, könnte dem Quartett Glaubwürdigkeit verleihen. Dazu wäre es aber notwendig, dass es nicht länger allein die USA sind, die am Verhandlungstisch Platz nehmen. Das Quartett könnte auch jetzt, wo keine Verhandlungen stattfinden, als Monitoringelement genutzt werden. Öffentliche Berichte, die die Einhaltung bisheriger Abkommen überprüfen und bewerten, könnten für die Parteien als Anreiz dienen sich vertragskonform zu verhalten. Für einen aktuell auszuhandelnden Waffenstillstand in Gaza wäre dies z.B. ein positives Element.
Für Israel wäre es nicht leicht zu akzeptieren, falls die anderen Quartettparteien eine stärkere Rolle einnehmen würden. Angesichts der Resignation, die die US-Führung inzwischen zu dem Thema zeigt, besteht aber die Chance für die EU, sich neu zu positionieren. Gerade die innenpolitischen Dynamiken in den USA haben Obama ratlos zurückgelassen, wie Fortschritte im Friedensprozess erreicht werden können. Innerhalb der EU existieren diese Zwänge ebenfalls – und führende israelische PolitikerInnen sind sich z.T. nicht zu schade, europäischen PolitikerInnen mit innenpolitischem Druck durch Lobbygruppen zu drohen – allerdings in einem ungleich geringeren Maße. Auch hier fällt Europa eine wichtige Rolle zu. Dort, wo es notwendig ist, positive Anreize für die Konfliktparteien anzubieten, sind die USA sehr effektiv, verwalten sie doch die wichtige israelische Militärhilfe, und sie allein haben die militärische Stärke, um wichtige Sicherheitsgarantien abzugeben. Bei durchaus auch notwendigem Druck auf die Konfliktparteien sind den US-AmerikanerInnen allerdings meist durch den Kongress die Hände gebunden. Hier kann es Aufgabe der EuropäerInnen sein, unterstützend zu wirken und das zu tun, was die US-AmerikanerInnen selbst nicht können. Die EU-Maßnahmen zum Verbot von Fördergeldern für Siedlungen und die Überlegungen zum Labeling von Siedlungsprodukten sind hier gute erste Beispiele.
Es wird nicht leicht für die EU sein, sich aus der Rolle der Juniorpartnerin zu befreien. Um einen Frieden zu erreichen, der Israelis und PalästinenserInnen gerecht wird, ist es aber unabdingbar. Niemand kann behaupten, dass Europa immer die besseren Ideen oder die Mittel zu ihrer Durchsetzung hätte; die letzten 20 Jahre haben aber gezeigt, dass eine alleinige US-amerikanische Vermittlung nicht erfolgreich sein kann. Zeit für einen multilateralen Ansatz.
Kristian Brakel